Törnbericht: Im Sommer ins Kalte – Eine spannende Reise nach Island und zurück

Im Sommer 2014 hatten wir einen besonderen Gast. Sven hat uns für 10 Wochen und auf über 4.000 Seemeilen an Bord der Segelyacht Curieux begleitet und seine Eindrücke und Erfahrungen beschrieben. Viel Spaß beim Lesen und Nachmachen!

Im Sommer ins Kalte – Eine spannende Reise nach Island und zurück

Vor Island treibt Eis

Sieht kälter aus, als es ist. Ein besonderer Sommerurlaub.

„Nach Island? Dann trinkt nochmal was. Geht auf’s Haus.“ Ob es da nicht furchtbar kalt ist? Vielleicht, aber Mittelmeer kann ja jeder, denke ich mir. „Nächsten Samstag ist Mittsommernacht. Da wollen wir schon in Norwegen sein. Ab da wird es für uns nicht mehr dunkel für die nächsten zwei Monate. Jasmin, die Kellnerin in der bunten Kuh auf Helgoland – feste Station der Summit Sailing Törns – hat schon viel gehört, sieht sie doch tausende Yachtis im Jahr. Die Sache mit Island interessiert sie wirklich. Vor ihr am Tresen sitze ich mit meiner ersten Crew. Der Abend des 14. Juni 2014 ist der erste Abend auf einer langen Reise über die Nordsee und den Nordatlantik mit Summit Sailing. Mich erwarten in den nächsten 10 Wochen 4 Crews und 5 Länder. Erst heute sind wir am frühen Nachmittag durch die Schleuse aus dem Hooksmeer in die Jade gedieselt. Vor uns liegen stürmische Tage. Es geht bei Nordwest-Wind nach Nordwesten. Das Essen kommt.

Bevor man sich entschließt, längere Zeit mit völlig fremden Menschen auf relativ engem Raum zu verbringen, stellt man sich natürlich die Frage, wer da so an Bord kommt. Gleich bei meiner ersten Crew und dem Abend auf Helgoland habe ich gemerkt, dass es nicht nur mir so geht und sich auch die anderen die selbe Frage gestellt haben. Wir haben alle etwas gemeinsam. – Wir wollen segeln. Und ich stelle fest, mit meinen Crewmitgliedern wird es eine lustige Zeit.

Nachdem auf Helgoland noch ein kleines Konjunkturprogramm zugunsten der örtlichen „Schiffsausrüster“ und gegen die skandinavischen Alkoholpreise initiiert haben, sehen wir schon nach wenigen Stunden bei strahlender Sonne die Südspitze von Sylt. Das war doch zum Eingewöhnen ganz nett. Sommerurlaub! Wir segeln in zwei Meilen Abstand an Sylts Ostküste nach Norden. Unsere Curieux, eine Gib’Sea 442, gleitet durch die fast glatte Nordsee in die Dämmerung.

Törnbericht Blauwassersegeln Skagerak

Hoch geht’s her.

In List auf Sylt bespricht Skipper Philipp mit uns die Route für die nächsten Tage. Wir müssen am Samstag im Südwesten Norwegens sein, weil dort zwei weitere Crewmitglieder an Bord kommen. Davor liegt der erste große Blauwasserabschnitt über das Skagerrak. Der angekündigte kräftige Wind bläst mit 6 Windstärken aus Nordwest. Das wird nicht gemütlich.

Wir kämpfen uns hart am Wind durch die Nordsee nach Thyborøn. – Mit unfreiwilligem Halt in Thorsminde, um einen Bolzen in einer Untersaling auszuwechseln. Die Curieux hält, was der Skipper versprochen hat. Thorsminde anzulaufen ist bei diesem Wind eigentlich ein heikles Unterfangen. In der Hafeneinfahrt – eine nur wenige Meter breit ausgebaggerte Lücke im Sandstrand herrscht eine schlimme Brandung.

Thorsminde

Wir verkriechen uns in Thorsminde vorm Sturm.

Der Hafenmeister wünscht uns über UKW gutes Gelingen. Es wirkt. Wir surfen auf der Brandung in den Hafen. Hier kommen wir erst nach zwei Tagen wieder weg. Der Wind frischt auf 10 Windstärken auf. Erst bei 7 Bft. trauen wir uns wieder in die Brandung mit Kurs nach Norwegen. Es wird ruppig, aber dafür haben wir ja dieses tolle Schiff. Dieser Satz hallt auf meiner Nachtwache am Achterstag eingepickt nach, als ich durch die rot grün beleutete Gischt der Brecher, die uns pausenlos durch-einanderschaukeln endlich die Lichter von Kristiansand sehe. Es ist drei Uhr morgens, der Sturm lässt nach. Der stramme Nordwester hat uns recht weit nach Osten versetzt. Kurs West.

Ich bemerke im Norden eine rote Dämmerung. Es ist Mitsommer. Die kürzeste Nacht im Jahr. Und schon hier in Südnorwegen ist es hell genug, um noch jedes Detail auf dem Wasser zu erkennen.

Tiefblaues Wasser in den norwegischen Fjorden

Tiefblaues Wasser in den norwegischen Fjorden

Eine Woche sind wir jetzt an Bord. In Flekkefjord vergrößert sich die Crew am Nachmittag auf sechs. Zwei Nachzügler kommen an und stehen in kurzer Hose am Steg und starren ungläubig auf 4 durchnächtigte Männer des Sturms, die in salzverkrustetem Ölzeug von Bord springen.

Wir fahren über Egersund durch malerische Fjorde bei Sonnenschein. Das Echolot zeigt nur selten überhaupt etwas an in diesem tiefen klaren kalten Wasser. Über Haugesund und Selbjørn geht es nach Bergen, wo wir am Freitag nach den ersten zwei Wochen und 670 sm das erste Etappenziel erreichen und eine neue Crew begrüßen.

Törnbericht in norwegischen Fjorden auf der Curieux

Kurz vor Bergen

An diesem Abend versetzt die Hardrock-Band Iron Maiden das kleine Städtchen in den Ausnahmezustand. Die Curieux liegt im Päckchen an der Tyskebruggen zwischen hunderten norwegischen Yachten, die ihre eigene Hafenparty am Rande des Konzertes feiern. Crew-Wechsel. In zwei Wochen wächst eine Crew wirklich zusammen. Sechs Leute, die sich vorher nie gesehen haben, haben sich toll verstanden und werden sich sicher auf dem einen oder anderen Boot wiedersehen.

Es ist Montag am späten Abend. Wir haben Bergen am frühen Morgen verlassen und sind schon wieder auf der offenen Nordsee mit direktem Kurs auf die Shettlandinseln. Ich liebe diese Nächte, in denen es nicht dunkel wird. Wir sind ganz alleine. Das letzte Fischerboot haben wir vor 6 Stunden gesehen. Vor uns liegen noch 30 Stunden bei 270 Grad. Das einzige Licht, das uns begegnet gehört zu einer Bohrplattform auf der Vikingbank. Ansonsten begegnen wir bis kurz vor den Shettlands keinem anderen Schiff. Mit mehr Betriebsamkeit rechnen wir für die nächsten Wochen nicht.

Törnbericht Shettland Inseln

Die gibt’s wirklich!

Wir verbringen 2 schöne Tage auf den Shettland-Inseln. Die Ponys gibt es wirklich. Wir mieten uns ein Auto und bestaunen das Castle Musness, das nördlichste Schloss der Britischen Inseln. Ich schlafe endlich einmal richtig aus und denke an den letzten Schlag aus Norwegen hierhin von 240 Seemeilen und vergleiche ihn mit den Katzensprüngen von vor drei Wochen. Helgoland, Sylt, Esbjerg. Gefühlt liegt das schon Monate zurück. Man verliert allmählich das Gefühl für Zeit und Entfernungen.

Am 5. Juli – wir laufen gleich Richtung Tórshavn auf den Färöern aus – unterhalte ich mich mit Hans beim Frühstück. Ich bin als einziger die vollen 10 Wochen Bord. Für Hans ist es das erste Mal auf einer Segelyacht. Und nach einer Woche auf See ist Lerwick erst der zweite Hafen, den er seit Bergen von einer Yacht aus gesehen hat.

Sonnenuntergang auf dem Nordatlantik

Der Nordatlantik gehört uns.

Ich frage ihn, was ihm durch den Kopf geht. „Am Anfang war mir etwas mulmig zumute. Ich habe mir viel ausgemalt und war sehr aufgeregt. Ich habe die Nordsee immer mit hohen Brechern und Dauerregen verbunden. Doch morgens dann aus der Koje zu steigen und ins Cockpit zu kommen und nur tiefblaues Wasser zu sehen ist einfach der Wahnsinn.“ Ich nicke verstehend und esse mein letztes Brötchen bevor wir die EU verlassen.

Kurs 275°. 35 Stunden trennen uns von den Färöern. Am Montag gegen 1 Uhr morgens machen wir in Tórshaven fest. Ich schlafe fast den ganzen Tag. Wir verproviantieren uns für den nächsten großen Schlag nach Island.

Curieux auf der Nordsee

Die SY Curieux in Norwegen.

Der Wind lässt zwischendurch fast völlig nach. Wir dieseln stundenlang über den Nordatlantik. Sanfte lange Atlantikwellen wiegen uns. Während der Autopilot steuert, staune ich über das erste AIS-Signal, dass wir seit 12 Stunden empfangen. Der Nordatlantik gehört uns ganz allein. Etwa 50 Seemeilen vor der isländischen Küste setzen wir endlich wieder unsere Segel und können zumindest für die letzten Stunden den Motor ausstellen, bevor wir in Hornafjörður einklarieren noch für ein paar schöne Stunden die Segel setzen.

Endlich in Island – nach fast einem Monat auf See. Wie das ist? Unbeschreiblich. Ich habe mich mittlerweile an Höchst-temperaturen von 14 Grad gewöhnt. Und sitze im T-Shirt auf dem Bug und fotografiere den höchsten Berg auf Island, den Gletschervulkan Öræfajökull, der sich mit seinen weißen Gipfeln aus dem Nebel erhebt.

Vor Island Land in Sicht

Wir fahren weiter an Islands Südküste bis nach Reykjavik, wo wir am Mittwoch, den 16. Juli einlaufen. Noch haben wir 3 Tage, bis der nächste Crewwechsel stattfindet. Ich habe jetzt 2100 sm hinter mir. Wir erkunden die Stadt und das Hinterland mit dem Auto. Halbzeit.

Samstag, 14. Juli. Morten, der neue Skipper kommt an Bord. Die neue Crew trudelt ein, und das Wetter wird immer schlechter. Es regnet in Strömen. Die neue Crew erkundet die Insel. Ich bleibe mit Morten an Bord. Ich kenne ihn von früheren Törns, und wir sprechen die nächsten Tage durch. Ich erzähle ihm von den ersten zwei Wochen, und wir besorgen uns verschiedene Wetterberichte. Mehrere Tiefs passieren Island. Es läuft auf das Gegenteil der Hinfahrt hinaus. Den Motor werden wir wohl nicht brauchen.

Törnbericht - SY Curieux auf Island

Die Curieux in Island

Unser erstes Ziel ist Grindavík, wo wir bei 8 Windstärken im Hafen bleiben. Vor einem Monat erinnere ich mich daran, dass ich bei diesem Wind nach Norwegen gesegelt bin und freue mich insgeheim schon auf eine Überfahrt von Island auf die Färöer unter Segeln, wo doch die Hinfahrt im Zeichen der Dieselfock stand.

Ich sollte meine Wind-Ration noch bekommen. Wir verlassen Island bei 4 Bft. aus Südwest. Die Curieux rollt auf hohen, langgezogenen Atlantikwellen. Das NAVTEX, ein Empfänger für Wetterberichte, kündigt uns Windgeschwindigkeiten von 23 m/s an. Wir laufen unter unserer Sturmfock die Westmännerinseln an. Der Wind flaut etwas ab. Am nächsten Morgen verlassen wir die Westmänner und sehen in der aufreißenden Wolkendecke noch einmal den Eyjafjallajökull, der in 2010 durch seinen Ausbruch den europäischen Flugverkehr über Wochen zum Erliegen gebracht hat. Ich kann mit Stolz behaupten, mittlerweile frei von jeglicher Seekrankheit zu sein, was man von meinen Crewmitgliedern nicht behaupten kann.

Törnbericht - Orkas vor Island

Neugierige Orkas vor Island

Wir sind doch nicht allein auf dem Meer. Zwar sehen wir immer noch keine anderen Schiffe, aber als wie die Westmänner verlassen, begegnen wir einer Orka-Familie, die uns über mehrere Stunden treu begleitet.

Wir nehmen Kurs nach Thórshavn auf den Färörern. Der Wind frischt wieder auf. Es türmen sich haushohe Wellen auf. Ich revidiere mein Fazit zur Seekrankheit.

Am Donnerstag, den 31. Juli legt die Curieux erneut in Thórshavn an. Man kennt uns noch, und wir haben einen schönen Abend mit ein paar wirklich netten Einheimischen an Bord. Es fließt dann doch etwas mehr Alkohol, und wir haben uns viel zu erzählen.

Bergen bei Sommer

Bergen bei Sommer

Wir erreichen Bergen am 9. August. Mein Meilenstand: 3.400 sm.

Crewwechsel. Neben mir verbleibt Skipper Morten an Bord. Wir warten auf 2 weitere Gäste, die am späten Abend den letzten Gin vernichten, den ich noch in Helgoland eingepackt habe.

Am Montag, dem 11. August brechen wir in Bergen auf und kämpfen uns gegen 6 Beaufort aus Südwest vorwärts. Ich war hier schon mal. Gefühlt ist das Monate her. Und auch jetzt kann ich mich an den langen Fjorden, deren Wände sich neben uns steil in den Himmel strecken nicht sattsehen. Wer schon einmal hier gewesen ist, dass man das kaum beschreiben kann. Über Leirvig und Haugesund erreichen wir Stavanger am Freitag, den 15. August und begrüßen Paul, der uns auf der letzten Woche des Törns begleiten wird.

Segeln in Norwegen

Segeln in Norwegen

Diese letzte Woche hat es dann nochmal in sich. Am 18. August verlassen wir morgens Stavanger und nehmen direkten Kurs auf Esbjerg. Ein neues Sturmtief hat sich angekündigt. Noch ist die See verhältnismäßig ruhig. Aber die Prognose für die nächsten Tage sieht ungemütlich aus. Da wir in einer Woche zurück in Hooksiel sein müssen, beschließen wir, die Gunst der Stunde zu nutzen und bei leichtem Südwind Egersund zu verlassen und den Sturm weit ab vom Land ins Auge zu blicken. Es wird ein strammer Nordwestwind von 7 Beaufort, der uns ordentlich durchschaukelt. Trotzdem habe habe ich auf der Reise schon schwereres Wetter erlebt. Nur der Regen zermürbt. Einige Brecher fluten bei achterlichen Winden unser Cockpit.

Man könnte sich beim Lesen fragen, warum man sich das antut? Weil es Spaß macht. Weil zwei Tage schlechtes Wetter nicht die vielen tollen Segeltage relativieren. Weil es nie langweilig wird. Und weil man tolle Leute an Bord hat.

Mit 9 Knoten über die Nordsee...

Mit 9 Knoten über die Nordsee…

Nach 24 Stunden befinden wir uns ca 20 sm westlich von Esbjerg, als unsere Batterien schwach werden. Wir haben dem Autopiloten zu lange das Steuern überlassen. Das rächt sich nun. Doch nun holt uns das Pech doch noch ein. Der Motor springt nicht an. – Der Motor, der im Winter zuvor noch generalüberholt wurde. Unser Skipper befürchtet das Schlimmste und behält Recht. Dieselalgen haben die Filter verstopft. Da wir zeitlich mittlerweile überfällig sind, erreicht uns ein Land-See-Gespräch aus der Summit Sailing Zentrale über Lungby Radio. Wir berichten – mittlerweile über unsere Notbatterie – von unserem Motorproblem und unserem Vorhaben, unter Segeln Esbjerg anzulaufen. Zum Glück organisieren die Kollegen von Summit-Sailing bereits die Reparatur. Nach einem beispiellosen Anleger unter Segeln im Industriehafen von Esbjerg verbringen wir einen Tag in der kleinen dänischen Hafenstadt, um zuzusehen, wie Tank und Kraftstoffleitungen aufwendig gereinigt werden. Am Donnerstag Morgen verlassen wir Esbjerg und nehmen direkten Kurs auf die Jade. Die 155 sm bis Hooksiel verbuche ich heute unter Kurzstrecke.

Törnbericht - Nordsee und SonneIch gehe nochmal alle Namen durch, die mich auf dieser spannenden Reise begleitet haben. Da waren Architekten, Werbeleute, Handwerker, Computerspezialisten, Männer und Frauen, die sich vorher nicht kannten und fast immer gut vertragen haben. Leute, die sich aufeinander verlassen konnten, und von denen ich drei schon im nächsten Sommer wiedersehen werde. Auf der Nordsee.

4.000 sm liegen hinter mir, als ich nach genau 10 Wochen wieder im Hooksieler Außenhafen das Schleusentor zum Hooksmeer vor mir sehe.

Sommersonne auf dem Nordatlantik

Sommersonne auf dem Nordatlantik